Gleichzeitig beginnt die mediale und politische Diskussion im Westen in eine äusserst bedenkliche Richtung abzugleiten. Die Scharfmacher haben hüben wie drüben Hochkonjunktur. Die Antwort auf Putins Einmarsch kann für viele westliche Politiker gar nicht hart genug ausfallen. Die Zeichen stehen auf Eskalation.
Bezeichnend ist: Viele derjenigen, die gerade am lautesten schreien, hatten über den Ukraine-Krieg der vergangenen acht Jahre nie ein Wort verloren. Krieg herrscht in der Ukraine jedoch seit 2014. Dieser startete kurz nachdem die westlichen Grossmächte und rechtsradikale ukrainische Nationalisten im Februar 2014 gegen den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch geputscht hatten.
Es handelt sich hierbei um einen Krieg, den der Westen indirekt immer unterstützte und nationalistische Kreise anzettelten. Die Stossrichtung des Krieges lautete von Anfang an: alles Russische in der Ukraine muss ausgemerzt werden – inklusive der Sprache und der Kultur. Dass sich die russischsprechenden Separatisten gegen diese Politik zur Wehr setzten, war von Anfang an absehbar. Anders als die Menschen im Westen der Ukraine sehen viele Bewohner im Osten nun auch das russische Militär nicht als Invasor an, der Aggressor ist für sie die ukrainische Regierung.
Medial erhielt dieser «stille» Krieg jedoch kaum Aufmerksamkeit. Doch nun hat Putin zugeschlagen und die grossen Medien blicken nur noch auf den russischen Präsidenten. Sie verstehen die Welt nicht mehr. Grauzonen existieren nicht mehr. Wer die Ereignisse einzuordnen versucht, gilt als «Putin-Troll».
Er herrscht auch in den Medien Kriegsmodus, ein Modus, mit dem man uns in den vergangenen zwei Jahren «Pandemie» bereits gut eingeseift hat. Wer nur schon die eine oder andere Sanktion gegenüber Russland anzweifelt, gilt als potenzieller «Verräter» der westlichen «Wertegemeinschaft».
Fakt ist aber auch: Putins Angriffskrieg kam nicht aus heiterem Himmel. Der Westen trägt eine Mitschuld. Ich erwähne hier nur einige zentrale Fehler, die der Westen in den letzten Tagen und Monaten begangen hat. Fehler, die die Politik und grossen Medien weitgehend marginalisierten und den Blick auf die Ukraine stark verzerren.
- Die russische Regierung verlangte wiederholt sogenannte Sicherheitsgarantien (Neutralität, kein NATO-Beitritt der Ukraine etc.). Jedoch ohne Erfolg. Putins Forderungen diesbezüglich fanden bei Joe Biden im Dezember 2021 kein Gehör.
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski verweigerte vor der russischen Invasion jegliche Gespräche mit den russischsprechenden Separatisten in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk.
- Das Minsker-Abkommen, das den Gebieten in der Ostukraine mehr Selbstverwaltung garantieren sollte, setzte die ukrainische Regierung nie um. Diese Politik stützte auch die US-Administration.
- Wenige Tage vor Putins Invasion äusserte Selenski an der Münchner Sicherheitskonferenz gar die Absicht, die Ukraine nuklear aufzurüsten und somit das Budapester Memorandum von 1994 zu brechen.
Man stelle sich vor, nach dem Ende des Kalten Krieges wäre es nicht zur NATO-Osterweiterung gekommen, die NATO hätte sich aufgelöst, während die Staaten des Warschauer-Pakts fortbestanden hätten. Wie würde die US-Regierung wohl reagieren, wenn die Russen nun in Mexiko oder Kanada Atomwaffen in Richtung USA platzierten?
Um das nochmals klarzustellen: All dies rechtfertigt Putins Invasion nicht. Niemals. Doch all diese Hintergründe müssen berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollte man die scharfen Worte der US-Regierung gegen Russland mit äusserster Vorsicht aufnehmen. Es gibt genügend Akteure, die ein Interesse an der russischen Invasion haben – darunter nicht nur die Waffenindustrie, sondern auch der US-Energiesektor.
Die Europäer müssen künftig möglicherweise auf billiges russisches Gas verzichten, das durch die Nord Stream 2-Pipeline fliessen könnte. Biden gelang es just mit der russischen Invasion, das Pipeline-Projekt zu stoppen. Dem Projekt stand die US-Regierung ohnehin immer ablehnend gegenüber. Nun wittern US-Energiekonzerne ihre grosse Chance, teures Schiefergas in Europa zu verkaufen.
Dass die US-Regierung einen Keil zwischen die Westeuropäer und Russland treiben möchte, ist nicht neu. George Friedman, Gründer von Strategic Forecasting (Stratfor, erstellt Analysen zu Geopolitik und Sicherheitsfragen), sagte 2015: «Wenn deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischer Arbeitskraft und russischen Ressourcen kooperiert, wäre das eine existenzielle Bedrohung für die USA.»
Vergessen sollten wir auch nicht: Zahlreichen Regierungen dürfte die gegenwärtige mediale Überleitung von der Corona-«Pandemie» in Richtung Ukraine auch ganz gelegen kommen. Zumindest hilft es innenpolitisch, von den eigenen Problemen abzulenken.
Herzlich
Rafael Lutz